Supervision, Mediation und Organisationsentwicklung Dresden
Reinhard John und Irene Pirschel
Wir arbeiten „systemisch“. Was bedeutet das?
Wir arbeiten „systemisch“. Was bedeutet das?
Das Schiff ist sicherer, wenn es im Hafen liegt.
Doch dafür werden Schiffe nicht gebaut.
Paulo Coelho
Für uns ist "systemisch" kein oberflächliches Werbewort. Wir benutzen „systemisch“ als eine Art Sprache, um komplexe Zusammenhänge zu beschreiben und zu bearbeiten. Für unsere Kund/innen und andere Interessierte möchten wir diese Grundlage unserer Arbeit hier kurz darstellen und durchschaubar machen. Wem das zu theoretisch ist, kann auch ohne dieses Wissen von unserer praktischen Beratung profitieren.
Ein "System" ist eine Auswahl, eine Entscheidung für eine Begrenzung dessen, worüber wir reden. Das "System" entsteht erst im Auge des Betrachters. Die Grenzziehung ist weder objektiv noch willkürlich, sondern pragmatisch. Sie versucht, für ein Anliegen wichtige Zusammenhänge zu beschreiben. Wenn wir die Grenzen ungünstig wählen, wird die Sache unnötig kompliziert.
Wenn wir uns für eine Grenzziehung entschieden haben (z.B. durch die Beschreibung eines Sachverhalts, durch die Gründung einer Firma oder durch die Auswahl der Funktionsträger, die an einer Beratung teilnehmen sollen), erscheint jenseits der Grenze die „Umwelt“, die für das "System" wichtig ist. Die Grenzziehung kann auch eine ethische Frage sein: Was wird ausgeblendet, und welche Auswirkungen hat das auf andere "Systeme"?
Ein System besteht nicht aus Personen oder Dingen, sondern aus den Beziehungen zwischen diesen, aus der ganzen Vielfalt der Kommunikation, der bewussten und unbewussten Identität des Systems, der Kultur, der wirksamen Regeln...
Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann (in: Soziologische Aufklärung 4, S. 113 und 119, über politische Evolution und Bürokratie) beschreibt es so:
"Typisch ist… die Ausdifferenzierung einer dominanten Struktur,
an die sich parasitäre Erscheinungen anschließen, die sich wechselseitig parasitieren oder subparasitieren können.
Dominanz in diesem evolutionstheoretischen Sinne setzt keine zentralen Entscheidungsinstanzen voraus.
Sie liegt… im Dominieren bestimmter "ökologischer" Relationen zwischen Systemen und Umwelten.
Leider… wird ständig über Unregierbarkeit geklagt, als ob etwas anderes zu erwarten wäre.
Ein Modell: Tauben auf dem Markusplatz, mit einer Fülle von parasitären Einrichtungen an
Touristen, Photografen, Futterverkäufern, Straßenreinigern, die sich wechselseitig teils fördern, teils behindern,
in jedem Falle aber nur in Symbiose mit der dominanten Struktur existieren, die ihrerseits durch sie überlebt."
„Systemisch“ ist eine Sprache, um an komplexen Zusammenhängen zu arbeiten. Wenn es nicht um einfache wenn-dann-Zusammenhänge geht, wenn die Zahl der Einflussgrößen und ihrer Wechselwirkungen sichere Vorhersagen und direkte Steuerung verhindert, werden Analyse und zielgerichtete Aktionen dennoch nicht unmöglich. Aber die Fortbewegung in solchen oberflächlich betrachtet „chaotischen“ Zusammenhängen ähnelt mehr einem Surfen als der Fahrt auf einer Straße von A nach B. Das erfordert neue Management-Strategien.
Systeme sind eigensinnig. Sie befinden sich die meiste Zeit in einem relativ stabilen Gleichgewichtszustand, in den sie infolge ihrer Eigendynamik auch nach Veränderungsversuchen zurückzukehren versuchen. Situationen zu schaffen und zu nutzen, in denen ein System „auf der Kippe“ steht, ist die Chance für Veränderungen – für den Übergang in einen gewünschten neuen stabilen Zustand. Solche Übergänge sind nur teilweise vorhersagbar und steuerbar, mit Überraschungen ist zu rechnen. In der Beratung schätzen und unterstützen wir die Selbstorganisation des Systems. Es ist vergeblich, gegen sie zu kämpfen.
Berater/innen und andere, die über ein System nachdenken, sind nie objektiv. Wenn es stimmt, dass das System erst „im Auge des Betrachters“ entsteht, verändert sich die „Realität“, sobald jemand zuschaut. Die Betrachtung und Beschreibung ist bereits eine Intervention, Beobachter sind Täter. "Fakt" heißt "gemacht" - jemand war es. Erst durchs Zuschauen wurden Fakten geschaffen. In der Beratung und im Arbeitsalltag schauen oft mehrere zu, mit jeweils unterschiedlichen „Realitäten“. Mit dem Wissen um diese Vielfalt haben wir großen Respekt vor der Autonomie, Fremdheit und Kompetenz der Einzelnen. Deren „Realitäten“ miteinander ins Gespräch zu bringen, Perspektiven zu wechseln, den Dialog der Wahrheiten zu führen und eine gemeinsame Skizze des Systems und seiner Entwicklungsrichtung zu erarbeiten, ist ein wichtiger Teil der Beratung und hat Einfluss darauf, „wie die Geschichte weitergeht“. Zugleich lernt die Organisation und erwirbt Fähigkeiten, die über den aktuellen Anlass hinaus brauchbar sind.
Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit
trägt wirklich ein Forellenkleid
und dreht sich stumm, und dreht sich stumm
nach andern Wirklichkeiten um.
André Heller
Diese Art, Systeme zu beschreiben und mit ihnen zu kommunizieren, erschließt Möglichkeiten für Veränderung durch Beratung. Sie zeigt aber zugleich auch Grenzen der Veränderbarkeit und Steuerung. Und so abstrakt diese Theorie-Grundlage klingt – in der Beratung geschieht intensive, lebendige und oft fröhliche Kommunikation zwischen Menschen, die zu konkreten Ergebnissen und klaren Handlungsvereinbarungen führt.
Außer den systemischen Grundannahmen und Arbeitsformen benutzen wir auch zahlreiche hilfreiche Modelle und Methoden aus anderen Wissensgebieten und Beratungs-„Schulen“.
Zum Weiterlesen: „Was ist systemisch?“ auf der Webseite der Systemischen Gesllschaft
Zum Weiterhören: Niklas Luhmann "Eine Welt aus Systemen"